Foto: Susanne Prothmann - Chefärztin Veronika Friedel und Chefarzt PD Dr. med. Fritz-Georg Lehnhardt von der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik am Evangelischen Krankenhaus Bergisch Gladbach.
06.08.2020 Corona-Pandemie

Der schwierige Weg zurück in die Normalität

Interview mit Chefärztin Veronika Friedel und Chefarzt PD Dr. med. Fritz-Georg Lehnhardt von der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik über psychische Erkrankungen in der Corona-Krise.

Die langfristigen Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Häufigkeit von psychischen Erkrankungen sind noch nicht abzusehen. Wissenschaftler und Experten aus dem Bereich der Versorgungsforschung prognostizieren aber einen Anstieg von psychischen An­passungs­störungen, Angsterkrankungen, Depressionen oder Traumafolgestörungen.

Einer Studie des Kölner LVR-Instituts für Versorgungsforschung nach wird hierdurch auch eine verstärkte Inanspruchnahme des psychiatrisch-psychotherapeutischen Versorgungssystems erwartet (Zielasek und Gouzoulis-Mayfrank, in Deutsches Ärzte­blatt, Juni 2020). Im Interview erläutern Chefärztin Veronika Friedel und Chefarzt PD Dr. med. Fritz-Georg Lehnhardt von der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik am Evangelischen Krankenhaus Bergisch Gladbach die Situation.

Welche Auswirkungen der Corona-Krise stellten aus Ihrer Sicht zu Beginn der Pandemie eine besondere psychische Belastung dar?

Friedel: Die erste Phase der Pandemie war durch den konsequenten „Lockdown“ mit bisher nicht für möglich gehaltenen staatlichen Eingriffen in unseren normalen Lebenskontext gekennzeichnet. Innerhalb kürzester Zeit kam es durch die „soziale Distanzierung“ zu erheblichen Abbrüchen in unseren gewohnten sozialen Beziehungen. Bei vielen Menschen führte der drohende oder bereits realisierte Verlust des Arbeits­platzes erstmals auch zu ganz konkreten, finanziellen Ängsten. Im beruflichen Alltag zeigte sich für viele Eltern die Verbindung von „Home-Office“ und „Home-Schooling“ als besonders belastend. Diese Aufzählung könnte sicher um viele weitere Punkte fortgeführt werden.

Lehnhardt: Um die Akzeptanz dieser politischen Entscheidungen zu sichern, erfolgte eine umfassende, wissenschaftlich begleitete und häufig auch sehr prägnant formulierte Informationskampagne. Lange Zeit war es einem kaum möglich, sich dieser massiven und teilweise beängstigenden Informationsflut zu entziehen. Die Beschreibungen der medizinischen Folgen einer Covid-19 Infektion und der Blick auf zusammenbrechende medizinische Versorgungssysteme in unseren Nachbarländern haben sicherlich dazu beigetragen, sich über den absoluten Ernst der Lage klar zu werden. Dazu kamen natürlich die Ängste um die eigene Gesundheit und die Gesundheit unserer Angehörigen, Kinder und Großeltern. Das alles hat plötzlich unser Denken und Fühlen in unserem Lebensalltag dominiert. Insbesondere, wenn man sich selbst oder die nächsten Angehörigen wegen gesundheitlicher Vorerkrankungen plötzlich in einer sogenannten „Risikogruppe“ wiederfand.

Warum sind Menschen mit psychischer Vorerkrankung besonders von der Corona-Krise betroffen?

Lehnhardt: Menschen mit psychischen Vorerkrankungen waren schon in dieser ersten Phase der Pandemie stark benachteiligt. Zum einen ist ihre gesundheitliche, soziale und finanzielle Situation häufig bereits beeinträchtigt. Durch die Neigung zur Entwicklung von Ängsten und Depressionen können sich psychische Be­lastungen in der Corona-Krise ungleich stärker auswirken. Konflikte in der Partnerschaft oder inner­halb der Familie können schlechter ausgeglichen werden, Suchterkrankungen können sich ver­stärken. Nicht selten fehlen aber auch schlichtweg vertraute Personen, um über die Ängste und Sorgen zu sprechen. Besonders schlimm war, dass Unter­stützungen durch professionelle Bezugspersonen des ambulanten Hilfesystems durch die Kontaktsperren über lange Zeit weggefallen sind und teilweise auch weiterhin sind.

Friedel: Interessanterweise blieben in den ersten drei Monaten der Corona-Krise die Kontaktrate und die Belegung in unserer Klinik, aber auch in den meisten anderen psychiatrischen Kliniken zunächst deutlich unter dem Jahresdurchschnitt. Neben der Angst vor Ansteckung in einer Klinik könnte hier auch ein „Umschalten in den Krisen-Modus“ psychologisch wirksam gewesen sein. Vielleicht haben sich aber auch der gesellschaftliche Konsens über die Gefährlichkeit des Virus, die weitgehende Akzeptanz der für alle geltenden Schutzmaß­nahmen und ein Gefühl der Verbundenheit über alle Bevölkerungsgruppen hinweg zunächst mal stärkend auf die Psyche ausgewirkt.

Wie haben Sie den weiteren Verlauf der Corona-Krise bisher erlebt?

Friedel: Die zweite Phase der Corona-Pandemie ist durch die schrittweisen Lockerungen der Schutzmaßnahmen gekennzeichnet. Ganz individuell muss hier nun jeder die Balance zwischen einer Aufrecht­erhaltung der Wachsamkeit und dem Rückweg in etwas Normalität finden. Und auf diesem Weg müssen fortlaufend Anpassungen vorgenommen werden, je nachdem, wie sich das Infektionsgeschehen in unserer Region weiterentwickelt.

Wie schätzen Sie die psychischen Auswirkungen der bisher erfolgten Lockerungen ein?

Lehnhardt: Aus psychologischer Sicht ist zu erwarten, dass mit einer vermeintlich nun abklingenden Pandemie auch die innere Anspannung von den einzelnen Menschen abfällt. Das ist sicher erstmal gut. Das Abschalten des bisher schützenden „Krisen-Modus“ kann aber bei einzelnen Menschen auch dazu führen, dass bisher unterdrückte Gefühle von Sorgen, Angst und Erschöpfung mehr Raum gewinnen und sich zu einer Belastung im Lebensalltag entwickeln. Menschen mit psychischen Vorerkrankungen sind hier wiederum deutlich stärker gefährdet.

Worauf sollten die Menschen mit, aber auch ohne psychische Vorerkrankungen jetzt besonders achten?

Friedel: Das Auftreten psychischer Warnsymptome sollte frühzeitig erkannt und ernst genommen werden: die beständige Sorge um das eigene oder fremde korrekte Verhalten im Alltag, fortbe­stehende Ängste vor Menschenansammlungen, das Auftreten von Schlafstörungen, eine ungewöhnliche Gereiztheit, wiederkehrende negative Gedanken über die eigene Person, quälende Zukunftsängste oder unge­wohnte Schwierigkeiten in der Konzentration und Leistungsfähigkeit können Symptome einer psychischen Überlastung darstellen.

Was ist dann zu tun, wenn diese Symptome von den Menschen erkannt werden?

Lehnhardt: Werden diese Symptome von den Betroffenen wahrgenommen und als psychische Reaktionen erkannt, können schon einfache Maß­nahmen häufig sehr hilfreich sein: gegenüber vertrauten Personen diese Gefühle offen ansprechen, soziale Kontakte wieder aufnehmen, für eine ausreichende Tagesstrukturierung, regelmäßige körperliche Bewegung und eine gesunde Ernährung sorgen. All diese eigentlich einfachen Maßnahmen können unsere psychische Widerstandskraft schrittweise stärken.

Und wenn diese Maßnahmen nicht ausreichen?

Friedel: Führen solche einfachen Maßnahmen nicht zu einer deutlichen Verminderung der psychischen Belastung, sollte professionelle Hilfe aufgesucht werden. Dazu gehören zunächst der Hausarzt oder die zahlreichen Internet-Angebote, oder aber auch das Krisentelefon unserer Psychiatrischen Institutsambulanz hier am EVK. Hier kann sowohl eine telefonische Beratung als auch eine persönliche Vorstellung zur Einschätzung, Beratung und Informationsvermittlung erfolgen.

Kontakt      
Krisentelefon der Psychiatrischen Institutsambulanz am EVK: 02202-122-3522, Mo. bis Fr. von 8 bis 16 Uhr

Das Interview führte Robert Schäfer.