Ute Bothe und Jan Pothof engagieren sich bei den Grünen Damen und Herren im Evangelischen Krankenhaus Bergisch Gladbach - (Foto: Ute Glaser).
10.09.2021 Evangelisches Krankenhaus

Gute Geister am Krankenbett

Grüne Damen und Herren gibt es am EVK seit über 40 Jahren: Sie bieten den Patienten nicht-medizinische Hilfe an – oder hören ganz einfach nur zu.

Wer liegt schon gern im Krankenhaus? Vermutlich niemand. Am ärgsten trifft es oft die Patienten, die nicht nur krank sind, sondern auch ohne Besuch auskommen müssen: weil sie keine Angehörigen haben, diese weit weg wohnen oder Freunde längst immobil sind. Wer hat dann ein Ohr für Sorgen und Nöte? Wer holt ein Eis aus der Cafeteria, besorgt eine Zeitschrift oder neue Zahnpasta? In solchen Momenten tauchen am Evangelischen Krankenhaus Bergisch Gladbach (EVK) die Grünen Damen und Herren als hilfreiche Engel auf. Zu ihnen gehören auch Ute Bothe und Jan Pothof. Wenn’s klopft, stehen sie womöglich vor der Tür.

Wie beginnen Sie Ihren Besuch bei den Patienten? Das sind für Sie ja wildfremde Menschen …

Pothof: Ich bitte zunächst auf Station um eine Namensliste mit Altersangabe, damit ich weiß, was mich hinter den Türen erwartet. So sehe ich, ob Frau Meier von letzter Woche noch da ist. Oder ich weiß, dass ich bei zwei jungen Männern, die vermutlich am Tablet sitzen, nicht unbedingt reingehen muss.

Bothe: Wenn ich meinen Dienst anfange, frage ich auf Station, ob es ein Zimmer gibt, in das ich nicht reingehen sollte. Ansonsten gehe ich von Zimmer zu Zimmer. Ich klopfe an, ich gehe rein und stelle mich vor. Dann frage ich, ob ich irgendetwas Nicht-Medizinisches tun kann. Ob ich etwas erledigen kann, etwas besorgen kann.

Was für Dinge sind das?

Bothe: Nur einen Kaffee oder einen Tee bringen, mal ein Stück Kuchen aus der Cafeteria besorgen. Oder einen Spaziergang über den Flur machen. Bei einer alten Dame waren mal die Batterien vom Hörgerät leer. Da bin ich in die Stadt gegangen und habe neue besorgt. Einmal fühlte sich ein Mann in seinem OP-Hemd unwohl und hatte niemanden, der ihm neue Kleidung brachte. Dem habe ich Kleidung über die private Schiene besorgt.

Kümmern sich um solche Dinge nicht Angehörige?

Bothe: Eigentlich schon. Aber mancher im Haus hat keine oder sie kommen nicht oder können nicht kommen. Auffällig finde ich, wie häufig die alten Menschen ihre Kinder nicht belästigen wollen, wenn sie etwas brauchen, weil sie denken, die haben eh zu viel zu tun. Das wundert mich immer wieder. So habe ich einmal einen Rollkoffer geschleppt, weil die alte Dame ihr Kind damit nicht behelligen wollte.

Helfen Sie auch beim Waschen oder Tablettenschlucken?

Pothof: Nein. Wir machen in keiner Weise etwas mit körperlichem Kontakt, also kein Essen geben, zur Untersuchung bringen, Schläuche anschließen … Das dürfen wir nicht. Wir sind ehrenamtliche Laien. Wir helfen auf Gebieten, wo es nicht um Medizinisches geht. Wir versuchen kleine Wünsche zu erfüllen. Und zuhören können wir gut!

Sie hören zu?

Pothof: Ja, das ist sehr wichtig. Die Menschen wissen, dass sie mit uns frei über alles sprechen können. Wir unterliegen der Schweigepflicht! Wir haben Zeit. Und wir sind Außenstehende. Ich erinnere mich an eine Patientin, die sterbenskrank war und die darunter litt, ihren traurigen Mann zu sehen. Das konnte sie ihm aber nicht sagen. So etwas einmal aussprechen zu dürfen, tut gut.

Bothe: Wir versuchen, Gesprächsanlässe zu schaffen. Erst heißt es oft, wenn ich ins Zimmer komme: „Alles bestens!“ Aber auf einmal entwickelt sich ein Gespräch, das schon mal eine Viertelstunde dauern kann. Ich erfahre zum Beispiel, dass sich die Patientin Sorgen über die Zukunft macht. Oder sie wartet auf Untersuchungsergebnisse und ist ängstlich, weil sie Schlimmes befürchtet. Oder jemand beklagt sich, dass niemand zu Besuch kommt. Die Menschen sind oft einfach froh, wenn sie sich mal etwas frei von der Leber weg reden können.

Pothof: Es wird durch uns gewissermaßen eine Dose geöffnet … Und wenn Patienten länger hier sind, entsteht oft ein wirklich vertrauensvolles Verhältnis.

Möchten Patienten Sie dann später noch einmal privat anrufen oder treffen?

Pothof: Es kommt tatsächlich öfter vor, dass jemand aufgrund der intensiven Gespräche sagt: „Können wir uns nochmal treffen?“ Aber das mache ich nie.

Bothe: Ich gebe auch meine Telefonnummer nicht raus.

Pothof: Es ist ja so: Der Dienst der Grünen Damen und Herren ist ein Dienst im Krankenhaus. Er hört auf, wenn ich das Krankenhaus verlasse oder wenn der Patient das Krankenhaus verlässt. Dann stoppt das Verhältnis.

Ganz radikal?

Pothof: Nur wenn Menschen vor einer großen OP oder vor der Anästhesie Angst haben, sage ich schon mal: „Ihre OP ist um 14 Uhr? Dann stecke ich zu Hause eine Kerze an.“ Oder: „Sie ist um 16 Uhr zu Ende? Dann rufe ich auf Station an, um zu hören, wie es Ihnen geht.“ Und das mache ich dann auch. Manche Leute haben in solchen belastenden Situationen nämlich das Gefühl einer großen Einsamkeit.

Ist dieses Vertrauensverhältnis auf Zeit zwischen Menschen, die sich eigentlich fremd sind, ein Erfolgsgeheimnis der „grünen Mitarbeiter“?

Pothof: Mit Sicherheit. Auch die besondere Atmosphäre am Krankenbett trägt dazu bei. Es ist ein spezielle Beziehung zwischen Patienten und Helfenden.

Spielt in den Gesprächen Religion eine Rolle?

Bothe: Wir arbeiten überkonfessionell. Ich spreche das Thema Glauben und Gebet nicht proaktiv an. Und es ist eher selten, dass die Menschen darüber sprechen. Gestern sagte mal ein Patient: „Der liebe Gott wird mir schon helfen.“ Ich habe aber schon mit Patienten gebetet. Außerdem dürfen wir neben der Bibel auch einen kleinen Holzengel verteilen. Wenn ich ihn Patienten gab, sagte ich: „Daran können Sie sich festhalten.“ Das kam gut an.

Was ist, wenn Sie etwas hören, was Sie belastet?

Pothof: Dann können wir Supervision in Anspruch nehmen. Wir treffen uns ohnehin einmal im Monat mit den Kolleginnen, Kollegen und mit dem evangelischen Krankenhauspastor Dr. Rainer Fischer zum Erfahrungsaustausch. Denn hier am EVK sind wir dem Seelsorgebüro angeschlossen.

Wie oft schlüpfen Sie in den grünen Kittel?

Bothe: Normalerweise kommt jeder von uns einmal die Woche ins Krankenhaus.

Pothof: Die meisten Kolleginnen und Kollegen machen das am Vormittag, da nachmittags oft Besuch auf Station kommt. In der Regel sind wir ein bis zweieinhalb Stunden vor Ort. Aber es gibt keinerlei Verpflichtung. Das kann jeder selbst entscheiden.

Bothe: Mein Name hängt am schwarzen Brett aus – mit meiner Besuchszeit und einem Foto. So können Patienten oder Angehörige auch von sich aus Kontakt mit mir aufnehmen.

Sie sind immer auf derselben Station unterwegs?

Pothof: Ja. Jeder grüne Mitarbeiter ist an eine Station angedockt, das heißt die Kontaktperson für diese Station. Das bringt Vorteile, weil die Ärzte und Schwestern einen kennen. Es gibt ein Vertrauensverhältnis. Ich bin auf der 4a eingesetzt, wo vor allem Patienten der Viszeralchirurgie liegen.

Bothe: Ich hatte von Anfang an die 5b, Pneumologie. Und jetzt habe ich auch noch die neue 4d übernommen, wo auch viele Krebspatientinnen liegen.

Andere meiden Krankenhäuser, Sie verbringen dort Ihre Freizeit. Wie kam es dazu?

Pothof: Die Kommunikation mit Menschen hat mir schon früher im Beruf viel Freude gemacht. Ich finde Kommunikation sehr spannend. Als ich in Rente ging, habe ich eines Tages im EVK ein Plakat der Grünen Damen und Herren gesehen und gedacht: Das ist interessant! Ich weiß, dass ich mit Menschen umgehen kann und dass ich Menschen, die in gewissen Nöten sind, helfen kann. Mir war daher klar: Das muss ich probieren. Und ich habe es bisher keine Sekunde bereut.

Bothe: Ich wohne in unmittelbarer Nähe des Krankenhauses und ich war ihm schon immer verbunden. Ich habe hier meine Kinder bekommen, ich bin hier bei Ärzten in Behandlung gewesen. Ich fand die Grünen Damen und Herren schon immer toll. Als ich dann in einem Prospekt sah, dass eine Bekannte bei ihnen mitmachte, dachte ich: Das kann ich auch mal probieren. Ich wollte eine Aufgabe haben. Ich bin ein sehr positiv denkender Mensch. Ich kann Mut machen, etwas Aufmunterung bringen.

Was motiviert Sie immer wieder neu?

Pothof: Mich fasziniert, dass ich mit Menschen zusammenkomme, die ich aus meinem sozialen Biotop nicht kenne. Ich kam zum Beispiel ins Zimmer eines langjährigen Junkies, wohnungslos, lebte in Köln unter der Brücke. Wenn ich mit solch einer Person in einer recht vertraulichen Situation zusammenkomme, dann kann ich viel lernen. Ich erinnere mich auch an eine obdachlose Juristin: Wir haben uns über das Leben, Bücher, Filme und juristische Fragen unterhalten. Das waren für mich sehr wertvolle Gespräche. Ich schätze diesen Gedankenaustausch. Ich habe gelernt, dass man immer hinter die Fassade blicken soll.

Bothe: Ich helfe einfach gerne Menschen. Mir geht es gut und davon gebe ich gerne etwas ab. Es macht mir Freude, anderen Freude zu bereiten – und das geht oft durch ganz kleine Dinge. Es kommt auch viel von den Patienten zurück.

Angenommen, jemand möchte Ihr Team unterstützen …

Pothof: Gerne! Nach einem Kennenlerngespräch gibt es einen Proberundgang. Religion und Alter spielen keine Rolle. Aber (er lacht) mit 80 Jahren ist Schluss! Das Wichtigste ist: Interesse, echtes Interesse und Empathie für andere Menschen. Das Zweite ist: zuhören können, aktiv zuhören können.

Der grüne Kittel ist ein Muss?

Pothof: Natürlich! Er ist unser Markenzeichen. Wer den grünen Kittel trägt, wird erkannt. Der zweite Aspekt ist: Wenn ich den Kittel ablege, dann lasse ich damit das hinter mir, was ich gehört und erlebt habe. Meistens.

Das Interview führte Ute Glaser

Ihr Ansprechpartner am EVK
Kontakt zu den Grünen Damen und
Herren über das Seelsorgebüro im EVK
Tel.: 02202 122 - 1088
Dienstags und Donnerstags von 9.30 bis 12.00 Uhr
E-Mail: seelsorge@evk.de

Hintergrund

Jan Pothof leitet das Team der Grünen Damen und Herren am EVK seit fünf Jahren. Der Bergisch Gladbacher arbeitete zuvor 35 Jahre bei der Koelnmesse, nebenher ließ er sich zum „Heilpraktiker Psychotherapie“ ausbilden. Als der 72-Jährige vor acht Jahren in den Ruhestand ging, begann er die ehrenamtliche Tätigkeit bei den Grünen Damen und Herren.

Ute Bothe arbeitete früher als Sekretärin. Da ihre Kinder längst aus dem Haus sind und sie „mal rauskommen“ wollte, suchte sie längere Zeit nach einer erfüllenden Aufgabe jenseits des Haushalts. Die 77-jährige Bergisch Gladbacherin fand diese schließlich bei den Grünen Damen und Herren am EVK. Seit 2019 gehört sie zum Team.

Grüne Damen und Herren in Deutschland

Bundesweit gibt es derzeit etwa 8000 Grüne Damen und Herren, die in über 530 Krankenhäusern und Altenhilfe-Einrichtungen ihren segensreichen Besuchsdienst versehen – ehrenamtlich. Erkennbar sind sie am grünen Kittel, zusammengeschlossen im Evangelischen Kranken- und Alten-Hilfe e. V. Sie arbeiten ökumenisch. Richtschnur ihres Menschenbildes ist die christliche Nächstenliebe. Vorbild für diesen besonderen Besuchsdienst waren die „Pink Ladies“ in den USA. Sie beeindruckten Brigitte Schröder, Ehefrau des damaligen Außenministers, derart, dass sie die Idee in den 1960er-Jahren auf Deutschland übertrug – zunächst
in Düsseldorf. Am Evangelischen Krankenhaus Bergisch Gladbach (EVK) gibt es die „grünen Mitarbeiter“ seit 1979. Aktuell sind es elf Damen und zwei Herren.