Ein altes Bleiglasfenster schmückt den Flur des stationären Hospiz am EVK. Ute Glaser hat die Geschichte des Fensters recherchiert - (Foto: Susanne Prothmann).
10.11.2021 Hospiz am EVK

Rätsel um Bleiglasfenster im Hospiz – eine Spurensuche

Kunstobjekt entpuppt sich als antiker Gruß aus der Gnadenkirche.

„Was ist das eigentlich für ein Fenster?“ Besucher stehen oft grübelnd im stationären Hospiz am Evangelischen Krankenhaus Bergisch Gladbach (EVK) vor einem Bleiglasfenster. Von einem stabilen Holzkasten gerahmt, zieht es in einer Wandnische die Blicke auf sich. Es sieht alt aus. Doch Genaues weiß kaum jemand darüber.

Das Rätsel lösen

Eine, die hilft, das Rätsel um das 84 mal 95 Zentimeter große Fenster zu lösen, ist Maria Schätzmüller-Lukas. Die Kürtener Glaskünstlerin erzählt, sie habe vor wenigen Monaten das Hospiz erstmals besucht und plötzlich überrascht innegehalten. „Das ist doch mein Fenster, habe ich gedacht.“ Sie hatte es als Auftragsarbeit in ihrem Atelier damals angefertigt. Das war 1994. Damals schuf sie das antik anmutende Bleiglasfenster als neue Komposition aus den Überresten zweier alter Kirchenfenster, die zuvor die Gnadenkirche geschmückt hatten. Luftlinie nur ein paar hundert Meter vom Hospiz entfernt.

Alles begann 1994 …

Doch der Reihe nach. Alles begann mit einem Geschenk. Thomas Werner, Pfarrer an der Gnadenkirche im 1. Pfarrbezirk der Evangelischen Kirchengemeinde Bergisch Gladbach, erinnert sich, dass Renate Zanders 1994 der Gnadenkirche zwei moderne Kirchenfenster stiftete. Die damalige Patriarchin der Papierfabrikanten-Dynastie Zanders hatte sie vom Glaskünstler Wilhelm Buschulte in Unna anfertigen lassen.

Glasmalerei von 1900

Die beiden neuen Fenster ersetzten im Kirchenschiff zwei alte Fenster aus dem Jahr 1900. Auch diese waren – anlässlich der damaligen Neugestaltung der Gnadenkirche – Stiftungen gewesen: Das eine hatte Vorfahrin Maria Zanders gestiftet, das andere die Familie August Lenssen, Teilhaber der J. W. Zanders Papierfabrik Bergisch Gladbach. Inschriften am unteren Rand der Fenster bezeugten das.

Aus zwei mach eins

Beim Ausbau der beiden alten Fenster zerbrachen die meisten ihrer bleigefassten Scheiben. Den brauchbaren Rest schenkte der 1. Pfarrbezirk dem EVK, und er bat Maria Schätzmüller-Lukas, daraus Neues zu kreieren. „Die Fenster waren sehr verschlissen“, erinnert sich die Glaskünstlerin. „Ich habe praktisch aus zwei Fenstern eins gemacht.“ So entstand aus den Fragmenten der aufgearbeiteten floralen Glasmalereien das hübsche Bleiglasfenster, das zunächst im Foyer des EVK hing – und nun, seit der Eröffnung, im Hospiz.

Lichtfänger im EVK aus Fragmenten

Doch es entstand noch mehr aus dem Antikglas der Jahrhundertwende: zarte Lichtfänger. Denn die Künstlerin hatte die unbemalten Glasreste in ihrer Neukreation kaum unterbringen können. „Es waren Stücke, die zu schade zum Wegschmeißen waren“, erzählt Maria Schätzmüller-Lukas. Ihre künstlerische Lösung: „Ich habe die Scheiben durchbohrt und aneinandergehängt.“ So bildete sie schimmernde gläserne Ketten, die bis heute im EVK-Foyer am großen Fenster neben der Treppe hängen. Sie schimmern in den Schattierungen des Antikglases von Gelb über Rosa bis Blau, Grün und Grau. Ein träumerischer Akzent im funktionalen Gebäude.

Auch als Geschenk

Einen anderen Teil des unbemalten Original-Glases hatte die Gnadenkirche behalten. Pfarrer Thomas Werner ließ diese Stücke einzeln neu mit Blei einfassen und mit einem Stich der Gnadenkirche bedrucken. „Die haben wir dann an Freunde der Gnadenkirche verschenkt“, so Werner.

Werk eines bedeutenden Glasmalers

Wer im Hospiz das antike Bleiglasfenster betrachtet, fragt sich womöglich: Wer hat das Glas damals im Jahr 1900 bemalt? Wer hat die beiden Fenster für die Gnadenkirche angefertigt? Mit großer Sicherheit lässt sich sagen, dass sie das Werk eines hochkarätigen Fachmanns waren: Professor Alexander Linnemann (1839 – 1902). Sein Atelier für Glas- und Dekorationsmalerei in Frankfurt zählte zu den bedeutendsten  Werkstätten im ganzen Deutschen Reich.

Hinweis in altem Buch

Weshalb Professor Linnemann als Schöpfer der Fenster und ihrer Glasmalereien gelten kann, verrät Irmtraud Schumacher. Sie blätterte als historisch versiertes Gemeindemitglied der Gnadenkirche im längst  vergriffenen Buch „Geschichte der evangelischen Gemeinde Bergisch-Gladbach von ihren ersten Anfängen bis zur Gegenwart: Festschrift zur Wiedereinweihung der umgebauten Kirche“, geschrieben 1900 vom damaligen Pfarrer Ludwig Rehse.

Er schreibe, dass die gemalten Kirchenfenster von „Prof. A. Linnemann“ aus Frankfurt am Main stammten, berichtet Irmtraud Schumacher. Damit spiele Rehse auf die Fenster rechts und links der Altarnische an, die Geburt und Kreuzigung darstellten. „Da die Ornamentik aller Kirchenfenster von 1900 gleich war, ist davon auszugehen, dass auch die anderen gestifteten Fenster von Linnemann waren.“

Wiederentdecker alter Technik

Prof. Alexander Linnemann war in seiner Branche berühmt. Als Glasmaler arbeitete er in über 100 Kirchen und Profanbauten, unter anderem im Frankfurter Dom, Ulmer Münster sowie in Berlin in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche und dem Reichstagsgebäude. Viele seiner Werke wurden im Krieg jedoch zerstört. Er galt als Wiederentdecker der mittelalterlichen Glasmalereitechnik in Deutschland.

Westfenster in Altenberg restauriert

Der versierte Glasmaler fertigte nicht nur Neues an, sondern restaurierte auch alte Kirchenfenster, darunter 1896 das Westfenster des Altenberger Doms. Da Maria Zanders den Altenberger Dom-Verein gegründet hatte, mag darüber der Kontakt zwischen ihr und Prof. Linnemann entstanden und die Idee gewachsen sein, ihn anschließend mit neuen Fenstern für die Gnadenkirche zu beauftragen. Von den insgesamt sechs großformatigen Fenstern sind vier immer noch im Kirchenschiff zu sehen. Auch sie waren Stiftungen: von Maria Zanders’ Söhnen Richard und Hans, vom ehemaligen Papierfabrik-Teilhaber Friedrich Westphal und von Ferdinand Pfeiffer.

Mit Silbergelb und Schwarzlot

Wie fertigte der Glasmaler vor über 120 Jahren die floralen Malereien an, die bis heute auf dem Bleiglasfenster im Hospiz erfreuen? Maria Schätzmüller-Lukas erklärt, er habe auf das mundgeblasene Antikglas Silbergelb und Schwarzlot aufgetragen. Silbergelb erzeuge Gelb- bis Brauntöne, Schwarzlot sorge für dunkle Konturen.

Mundgeblasene Farbnuancen

Für die Glaskünstlerin ist es übrigens auch selbstverständlich, dass die unbemalten Scheiben der gläsernen Ketten im EVK-Foyer in zarten Tönen statt in klarer Transparenz schimmern: Das liege daran, dass bei der Glasherstellung schon minimale Abweichungen der Mineralanteile die Farbnuancen veränderten. Und noch etwas sollten Betrachter wissen: Die Lufteinschlüsse im Glas sind keinesfalls ein Makel, sondern charakteristisch für mundgeblasenes Antikglas.

Info-Tafel im Hospiz

Das Rätsel um das Bleiglasfenster ist gelöst! Damit nicht jeder Besucher Detektiv spielen muss, ist im Hospiz eine Info-Tafel montiert worden. Sie informiert und würdigt auch den antiken Gruß aus der Gnadenkirche.

Maria Schätzmüller-Lukas wurde 1951 in Kürten geboren. Dort lebt und arbeitet sie mit eigenem Atelier bis heute. Sie absolvierte die Ausbildung zur Kunstglaserin bei Fritz H. Lauten in Kürten. Später studierte sie Freie Bildhauerei bei Prof. Anton Berger an der Fachhochschule Köln und wurde Meisterschülerin bei ihm. Seit 1980 nahm sie an über hundert Ausstellungen im Inland und bisweilen auch Ausland teil, darunter zahlreiche Einzelausstellungen. Maria Schätzmüller-Lukas erhielt für ihre Glaskunst mehrere Preise, unter anderem den Kulturpreis des Rheinisch-Bergischen Kreises und die Goldmedaille für Skulpturen Joinville Art Expo, Frankreich.

Text: Ute Glaser