Die Pflegefachkraft und BVP-Gesprächsbegleiterin Eva Maria Frowein nimmt sich für die Unterredungen viel Zeit - (Foto: Daniel Beer).
15.11.2021 Evangelische Altenpflege Bergisch Gladbach

Gespräche zum Leben und zum Sterben

Was soll mit mir in einer Notfallsituation passieren, wenn ich selbst nicht mehr entscheiden kann? Das Konzept „Behandlung im Voraus Planen (BVP)“ findet passgenaue Antworten.

Mit Hilfe des Konzepts „Behandlung im Voraus planen“ (BVP) können sich Bewohnerinnen und Bewohner sowie ihre Angehörigen im Haus Quirlsberg der Evangelischen Altenpflege Bergisch Gladbach darüber Klarheit verschaffen, was mit ihnen in medizinischer Hinsicht geschehen soll, wenn sie selbst nicht mehr entscheiden können. Um dies herauszufinden, nimmt sich die Pflegefachkraft und BVP-Gesprächsbegleiterin Eva Maria Frowein viel Zeit, denn in den Unterredungen geht es nicht um das Abfragen „Was will ich, was will ich nicht“, sondern der Horizont ist ein ganz anderer. „In den Gesprächen lege ich das Fundament, sich über die eigene Einstellung zum Leben und Sterben klarzuwerden“, so Frowein. Erst wenn dieser Klärungsprozess stattgefunden hat, kann die zentrale Frage beantwortet werden: „Was würde ich im Notfall für mich wollen?“

Der Einstieg in die Gespräche führt sofort zum Kern der Sache. „Wie gerne leben Sie?“, möchte Frowein zu Beginn wissen und variiert diesen Aspekt mit der Frage: „Was bedeutet es für Sie, noch lange zu leben?“ Das Spektrum an Antworten, die ihr entgegengebracht werden, ist sehr weit gefasst. Wer optimistisch ist und noch Pläne hat, antwortet zum Beispiel: „Ich möchte unbedingt noch die Hochzeit meines Enkels erleben und die Medizin soll alles dafür tun, damit mir das möglich ist.“ Wer dagegen mit seinem Leben abgeschlossen hat, sagt: „Ich lebe überhaupt nicht mehr gerne und wenn jetzt noch eine weitere Krise dazukommt, darf es auch zu Ende gehen.“

Die Aufgabe von Eva Maria Frowein besteht darin, die Gedanken und Äußerungen ihrer Gesprächspartner aufzunehmen, zu notieren und bei Unklarheiten zu hinterfragen, was genau gemeint ist. In eine bestimmte Richtung lenken möchte und soll sie die Aussagen auf gar keinen Fall. Um manche Dinge noch klarer zu sehen, weist die BVP-Gesprächsbegleiterin auf medizinische Sachverhalte hin. Wenn ein 95-Jähriger sagt, er möchte im Notfall reanimiert werden, ist das sein gutes Recht und in Ordnung. Was viele nicht wissen, ist das meist schlechte Outcome einer Reanimation, gerade bei Menschen im hohen Alter. Nur 0,2 Prozent der älteren Menschen können nach einer Reanimation ihr altes Leben weiterführen. Das erklärt Frowein sehr anschaulich. „Leider wird uns im Fernsehen oft ein falsches Bild von Reanimation und medizinischer Notfallversorgung gezeigt.“

Mit dieser zusätzlichen Information können die Gesprächspartner dann ihre Entscheidung noch einmal überdenken. Diese Aussagen sind auf dem ärztlichen Notfallbogen hinterlegt.

Auf einem weiteren Bogen wird festgehalten, was im Anschluss an die Akutversorgung geschehen soll. Hat der Arzt eine Prognose gestellt, die zum Beispiel aussagt, dass unter Umständen eine starke körperliche oder geistige Einschränkung bleiben wird, kann auch für diesen Fall eine detaillierte Planung vorgenommen werden.

Das erste BVP-Gespräch dauert bis zu 1,5 Stunden und wird bei Bewohnern, die selber entscheidungsfähig sind, meist unter vier Augen geführt. In einem weiteren Gespräch ist es günstig, wenn der oder die Person dazu kommt, die die Vorsorgevollmacht hat. Das können der Ehepartner, die Tochter/der Sohn oder die Enkel sein. Dann tun sich häufig neue Perspektiven auf. Hat zum Beispiel eine Seniorin geäußert, auf jegliche weitere Behandlung solle verzichtet werden, weil sie niemandem zur Last fallen möchte, dann geben im zweiten Gespräch der Partner / die Kinder oder Enkel zu Protokoll: „Wir wären aber froh, wenn Du auf jeden Fall weiterlebst.“

Auch für Bewohner, die aufgrund ihrer dementiellen Veränderung dauerhaft einwilligungsunfähig sind, kann ein BVP-Prozess stattfinden. In diesem Fall wird eine Vertreterdokumentation erstellt. Liegt eine Vorsorgevollmacht vor, dann setzt sich Frowein mit dem Bevollmächtigten zusammen und erarbeitet den mutmaßlichen Willen des Seniors. Anhaltspunkte sind frühere Äußerungen zu grundsätzlichen Fragen des Lebens oder der Aspekt: „Wie hätte sie/er in diesem Fall entschieden?“ Im Fall der einwilligungsunfähigen Bewohner verschafft sich Frowein ein umfassendes Bild. Sie erlebt die Person und spricht mit den Bevollmächtigten sowie den Pflegekräften und dem Hausarzt.  

Weil sich die Haltungen zum Leben und Sterben ändern können, sind jederzeit Änderungen in der BVP-Verfügung möglich. „Das ist ein dynamischer Prozess“, weiß Frowein aus Erfahrung.

Die BVP ist ein freiwilliges Angebot und kein Pflichtprogramm. Wer sich gemeinsam mit Eva Maria Frowein auf den manchmal auch schwierigen Weg macht, wird belohnt. Frowein erlebt häufig eine große Dankbarkeit von den Menschen, die sich mit dem Sterben und dem Tod auseinandergesetzt und hierzu maßgeschneiderte Antworten gefunden haben.

Text: Robert Schäfer